Eichelberger, Huber Nievergelt und Käser (2022): Forschend lernen und lehren im Textilen und Technischen Gestalten – Tagungsband.
Um einen Überblick über aktuelle Forschungsprojekte zu erhalten, sind Fachtagungen doppelt interessant: Dort werden neue Studien vorgestellt und es gibt die Möglichkeit, mit den Forschenden in einen Dialog zu treten – direkt zum Vortrag oder in Pausen- und Abendgesprächen.
In der Schweiz wurden zur Stärkung der Fachdidaktiken als wissenschaftliche Disziplinen in den letzten Jahren Kompetenzzentren für die Fachdidaktiken sämtlicher Schulfächer eingerichtet. Die Pädagogische Hochschule Bern widmet sich u. a. dem Textilen und Technischen Gestalten TTG (so der Name des technikbezogenen Schulfachs in der CH). Ein für die Hochschultätigkeit qualifizierender Masterstudiengang in Fachdidaktik TTG-Design ergänzt die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten des Zentrums. Anlässlich des Abschlusses der Projekt- und Aufbauphase und der Überführung in einen regulären Betrieb, richtete das Zentrum im Mai 2021 die Tagung „Forschend lernen und lehren im Textilen und Technischen Gestalten“ aus.
Dass die Tagung nun von einem größeren Kreis erschlossen werden kann, ist das Verdienst des Leitungsteams des Zentrums: E. Eichelberger, V. Huber Nievergelt und A. Käser.
Themen der Beiträge
Im Band werden technikdidaktische Entwicklungsprojekte und Studien vorgestellt, inklusive bereichsübergreifender MINT-Projekte. Unter anderem dreht es sich um Themen wie …
- kollaboratives Lernen, also das Lernen in und mit einer Gruppe (Seitamaa-Hakaarinen/Riikonen/Mehto; Mühr; Eichelberger/Huber Nievergelt);
- Bedingungen und Realitäten inklusiven Technikunterrichts (Steinmann/Seidler; Schaubrenner);
- Bildung für Nachhaltige Entwicklung
- Einflüsse von geschlossenen, halboffenen und offenen Aufgabenstellungen auf Gestaltungsprozesse von Schülerinnen und Schülern (Stettler);
- Lernen mit Simulationen (Borgenheimer);
- Analyse technischer Produkte (Kumschick mit Fokus auf dem Lernen im Museum; Borkopp-Restle zur historisch-kulturellen Entwicklung von Gestaltungen am Beispiel von Kaschmir-Schals);
Ordnende Klammer
Der Versuch, Vorträge zu aktueller Forschung so anzuordnen, dass ein Roter Faden erkennbar wird, ist ein widersprüchliches Unterfangen. Aktualität ist zeitliche Kategorie und ein Leitthema wäre nur möglich unter der Annahme eines einzigen zeittypischen Themas. In einer Gesellschaft, die ihre Pluralität und Vernetzungen zunehmend herausarbeitet, ist das weder erwartbar noch wünschenswert.
Im hier besprochenen Band haben die Herausgeberinnen und der Herausgeber die Beiträge nach drei Perspektiven gruppiert: mit Blick auf Lernende und ihren Lernprozess, auf Lehrende und den Lehrprozess und auf den Lerngegenstand – jeweils bezogen auf das Lernen an allgemeinbildenden Schulen und das Studieren an Hochschulen. Das ist nach meiner Einschätzung gut gelungen. Die Gruppierung lässt Zusammenhänge sichtbar werden, die ohne diese editorische Unterstützung mühsam selbst hergestellt werden müssten.
Anlässe der Studien
Die Vorträge geben zum einen Einblick in didaktische Konzepte und Mittel (z. B. Videovignetten), die für Lehrveranstaltungen an Hochschulen entwickelt und dort erprobt wurden und werden.
Eine zweite Gruppe berichtet aus Promotionsvorhaben. Dort werden tendenziell Fragestellungen geklärt, die ‚kleiner‘ angelegt sind, schlicht weil sie von einer Person bewältigt werden müssen, was die Forschungsressourcen limitiert. Aus solchen Studien sind keine Befunde erwartbar, die verallgemeinerbare Aussagen zu Ausgangshypothesen erlauben, also nichts, was mit dem wissenschaftlichen Modewort ‚Evidenz‘ bezeichnet wird. Der Gewinn liegt oft darin, dass ein Sachverhalt durch gute hermeneutische Arbeit dargestellt und vor dem Hintergrund aktuellen Wissens reflektiert und neu eingeordnet wird. Am Ende können dann Hypothesen gut begründet formuliert werden, die einer weiteren Erforschung wert wären.
Solche Forschung jenseits des wissenschaftlichen Mainstreams zeigen beispielsweise die Texte von Stettler, der die in der technischen Bildung wenig beleuchtete Frage nach der Lenkungswirkung von Aufgabenstellungen bearbeitet hat und von Borkopp-Restle, die regional-kulturelle Einflüsse auf Technik im historischen Wandel untersuchte.
In dem Band finden sich aber auch Zusammenfassungen von Arbeiten, die älter als fünf Jahre sind. Es ist ein Schicksal vieler Doktorarbeiten, dass sie nach dem Erscheinen schnell in Vergessenheit geraten, obwohl ihnen technikdidaktisch relevante Klärungen gelingen. Hier möchte ich den Beitrag von Borgenheimer zur Lektüre empfehlen, der den Einsatz von Simulationen im Technikunterricht fokussiert. Sie sind in technischen Gestaltungsprozessen schon lange deutlich präsenter als die im Unterricht weit verbreiteten Experimente. Daraus erwächst m. E. ein Impuls auch für allgemeinbildenden Technikunterricht: Schülerinnen und Schüler sollten sich damit auseinandersetzen, unter welchen Bedingungen Simulationen genutzt werden, worin der Wissenszuwachs am Ende besteht (und ob nicht andere Verfahren zweckmäßiger wären) und auch, zu welchen Fragestellungen es überhaupt entsprechende Software gibt (und zu welchen nicht). Dass diese beinahe zehn Jahre alte Arbeit wieder sichtbar wird, ist wichtig und (auch) ein Verdienst dieses Tagungsbandes[1].
Was gibt es Besonderes zu entdecken?
Im Editorial des Bandes wird darauf verwiesen, dass die Beteiligungen von Studierenden an der Tagung nicht aufgenommen wurden. Das ist verständlich, weil sie wissenschaftliches Arbeiten schrittweise lernen und ihre Texte daher den Anforderungen an einen Tagungsband nur schwerlich genügen können. Das sagt aber nichts über deren Relevanz für die technische Bildung aus, im Gegenteil: Oft werden in Arbeiten von Studierenden Forschungslücken offensichtlich, bei denen man sich fragt, warum sich einem dieses Thema oder dieses Interesse nicht selbst schon aufgedrängt hat. Daran setzt auch das Konzept des forschenden Lernens im Studium an, das den Leitgedanken der Tagung in Bern kennzeichnet: Beteiligung von Studierenden an Forschung, damit sie in deren ‚Logik‘ genetisch-mitvollziehend eingeführt werden. In der Einleitung zum Band heißt es, dass erste Texte von Studierenden im Entstehen sind. Es wäre wünschenswert, dass diese gut zugänglich gemacht werden, z. B. auf den Websites der betroffenen Abteilungen der PH Bern.
Ein Letztes: Attraktiv gestaltet und sehr anregend finde ich die nach jedem Beitrag eingeschobenen Seiten mit Abbildungen von Studierendenarbeiten aus Veranstaltungen der Grundausbildungen an der PH Bern, welche das forschende Lernen und Lehren illustrieren. Das könnte stilbildend für manch anderen Tagungsband sein, denn immerhin finden solche Veranstaltungen an Orten statt, die jeder Tagung ein individuelles ‚Wasserzeichen‘ verleihen.
Bibliographische Angaben:
Eichelberger, Elisabeth; Huber Nievergelt, Verena; Käser, Andreas (Hrsg.) (2022): Forschend lernen und lehren im Textilen und Technischen Gestalten. Tagungsband. Bern: hep verlag. 280 Seiten, farbig im DIN-A4-Format. Taschenbuch: 34 €, E-Book: 28 €.
[1] Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ich in den Bereich des Textilen Gestaltens bzw. der Textildidaktik nicht eingelesen bin, sodass meine persönlichen Einschätzungen nicht annähernd die wünschenswerte Vielschichtigkeit herstellen können.