Technikunterricht bringt’s zusammen – eine Nachlese zur Jahrestagung 2019
Christian Wiesmüller
Wie geistig anspruchsvoll hat Technikunterricht zu sein? Und wie sehr muss er das Handwerkliche integrieren? Gehört beides bei der Allgemeinen Technischen Bildung zusammen? Das sind Fragen, die in jeder von der Technik eigen geprägten Zeit neu zu verhandeln sind. Oder haben wir es mit einer überdauernden Verhältnismäßigkeit mit relativ konstanter Gewichtung zu tun, etwa auch in Zeiten der alles überstrahlenden Digitalisierung? So könnte man die Fragen auf einen kurzen Nenner bringen, denen die Jahrestagung 2019 in Flensburg nachging.
Zum Verhandlungsort: Zurück zu einer der Wurzeln der DGTB. Damit könnte man die Ortswahl für die Jahrestagung 2019 u.a. begründen. In Flensburg tat sich 1995 am Vorabend der Gründung der DGTB Entscheidendes in der Historie der Fachgesellschaft: Von Hans Schulte und Horst Wolffgramm wurde ein ‚Symposion zur allgemeinen technischen Bildung – 5 Jahre nach der Wende‘ einberufen. 50 Technikdidaktiker aus Ost und West unterzeichneten ein Memorandum zur Situation der Technischen Bildung in Deutschland. Hier nahm auch die Idee weiter Gestalt an, eine institutionelle Absicherung für den Diskurs zur Technischen Bildung zu schaffen. Was dann 1996 mit der Gründung in Freiburg im Breisgau so weit war. Neun Jahre später hat die DGTB dann in Flensburg eine ihrer Jahrestagungen abgehalten; 2019 nun ein weiteres Mal Flensburg.
Technikunterricht: handfest und geistreich. Der Beitrag technischer Bildung zur kulturellen Bildung war das Thema. Ist es akut und von Interesse? Es wurden Hand und Geist gewählt, weil die Korrespondenz von beidem im Lehrfach eine permanente Herausforderung und Praxis darstellt; und in Zeiten der zunehmenden ‚Künstlichkeit‘, der Mittelbarkeiten, vielleicht auch der zunehmenden Sterilität der Lebenswelt mag das Thema tatsächlich dringlich sein: In einer Lebenswirklichkeit, die sich mehr und mehr auf einem Bildschirm zu ereignen scheint, in einer Lebenswirklichkeit, in der das Handgeschick von Kindern und Jugendlichen Sorge bereitet, aber auch dem Geist durch ein mediales Zuviel und durch KI-Prothetik ein Verkümmern drohen könnte. So ist das Thema vielleicht sogar vor-dringlich: Was bedeutet die durch Technik bewirkte Veränderung der Lebenswelt für die Ausrichtung von Technikunterricht? Was ist der Beitrag zur kulturellen Bildung? Erschöpft sich das durch die Vermittlung von Kompetenzen? Oder ist es mehr? Gibt es Spezifisches? Liegt der Gewinn im Zusammenspiel von Handgebrauch und geistiger Anstrengung, der Anstrengung des Begriffs? Ist Technikunterricht persönlichkeits- und charakterbildend?
Neben auf Bildung, Didaktik und Schule zentrierten Vorträgen wurde die Tagung eingerahmt von Max Fuchs‘ Referat zum Wandel des Kulturbegriffs in Form einer kulturpädagogischen Annäherung einerseits. Andererseits ließ Hans Dieter Mutschler, der Verfasser des Buches ‚Die Gottmaschine‘, die Zuhörer teilnehmen an einer Überlegung zur Technik, die manche vielleicht gerne ausblenden: Wird sie, die Technik, durch ihre ständige Innovation als Erlösungshoffnung missgedeutet? Ein Umstand, der Technische Bildung betreffen würde.
Die konkrete Bildungsaufgabe entfalteten Vorträge, die im Tagungsband nachgelesen werden können. Alle wären hier erwähnenswert. Wer nicht bei der Tagung dabei sein konnte, hat die Möglichkeit, die Themen hier auf der Homepage im Programm der Tagung einzusehen.
Eingangs dieser Nachlese war von einer Verhandlung offener Fragen die Rede. Gibt es ein Ergebnis nach der Tagung? Hierzu ist aus Sicht des Verfassers festzuhalten: Die Rolle der Technischen Bildung im Allgemeinen geht über das jeweils aktuell Angesagte hinaus. Es geht auch, aber nicht nur um ein Aufgreifen von Themen, die bestimmte Interessenskreise vertreten. Diese Interessen sind legitim. Wirtschaft soll sich äußern, Politik muss Rahmen schaffen. Wir haben die kommende Generation z.B. auf die digitale Welt vorzubereiten; eine auch in Flensburg erhobene Forderung (hierzu die Empfehlung Tagungsband Nr. 20). Handwerkliches verlagert sich dabei oder baut sich um in anderen Handlungsweisen. Gerne wird hier die Kulturreihe des Produzierens angeführt: von einfachen Werkzeugen über handgeführte Maschinen zum Fräsautomaten und schließlich zum 3-D-Druck. Dürfen aber aus Sicht des Kindes oder der Heranwachsenden bei der Vermittlung von Technik die technikkulturellen, die handbenötigenden Schritte in die Gegenwart einfach übersprungen werden?
Pädagogen und Didaktiker müssen sich Forderungen von außen anhören und sie gewichten, sie aber haben aus ihrer Erfahrung heraus und in ihrer Verantwortung zu entscheiden, was die Anvertrauten benötigen, um die Gegenwart zu begreifen und in ihr und in die Zukunft hinein ein sinnerfülltes Leben führen zu können. Und dahingehend konnte man die Stimmung auf der Tagung deuten: Der Technikunterricht steht in der Pflicht und ist aber auch besonders geeignet, Hand und Geist zusammenzubringen.
Ein fester Programmpunkt ist inzwischen das Nachwuchsforum, das Nachwuchskräften die Möglichkeit gibt, ihr Forschungsthema der Fachöffentlichkeit vorzustellen und Anregungen zu bekommen; auch wenn es nicht unmittelbar dem Tagungsthema zuzuordnen ist. Auch hierüber wird der Tagungsband Auskunft geben. Die Leser erwarten interessante Einblicke.
Ein bedeutsames Ereignis soll nicht unerwähnt bleiben, ein Novum: Für seine überragenden Verdienste um die DGTB wurde Prof. Burkhard Sachs die Ehrenmitgliedschaft verliehen (gesonderter Kurzbericht hier auf der Homepage).
Ein großer Dank gebührt der gastgebenden Hochschule. Sie stellte eine perfekte Organisation zur Verfügung, besonders auch die Hinterhofführung als Programmpunkt stieß auf reges Interesse. Eine Wiederholung dieses Programmpunkts andernorts ist nicht ausgeschlossen. Andreas Hüttner, Kai Christian Tönnsen und dem Team ein herzliches Dankeschön!
Flensburg hat neben dem wissenschaftlichen Ertrag Zufriedenheit erzeugt. So wurde schon von vielen der Vorfreude auf die Tagung 2020 Ausdruck verliehen. Herzliche Einladung dazu.